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Rodica Draghincescu Waschsalon
Sie kippten eimerweise brennendes wachs über
mich
Den einen, der sich abgewendet hatte, hörte man
schreien:
Schau:
diese tafel! schreib drauf was du fühlst!
Bekenne! brüllte der andere
während er
einen letzten eimer ausleerte
(Der eine und der andere sind
der kopf und der prophet
die den menschen beibringen zu lügen, den
schwanz
einzuziehen
das feuer zu lieben)
Schreib auf, frevlerin, wie das
Wort in dich dringt
und dich in göttlichem schlamm badet!
Sein gesicht
zersplitterte über mir
und traf statt meiner einen schädel.
Zu der zeit
erhob sich eine stimme vom verschneiten feld
wie eine falltür:
»Denn
euch ist heute ein kind geboren, ein Sohn
ist euch geschenkt, auf dessen
schultern liegen wird
die kraft«.
ich wälzte mich zur seite,
wälzte das
zittern weg das mir im nacken saß
applaus, im schnee versunkene stare.
Was für eine nacht! Ich vergesse alles was ich schreibe.
Von grube zu
grube schaufle ich mich durch meinen
körper
aus den runzeln schießen
halluzinierende fontänen.
Die wände zermahlen einen unerbittlichen raum.
Wahnsinn, unter den lidern — glühende bulldozer
setzen sich in trab.
Sie stoßen zu mir vor zwischen den
sippen der engel, schreckensbleich.
Fast ein
sieg, ein Satz. In weiter ferne,
in weiter ferne erblicke ich mich ohne
kopf
Dann, etwas näher, in einem waschsalon
hänge ich papier zum
trocknen auf den zaun,
lästere über eine vom alter gebeugte frau.
Ich
raffe meinen rock und springe.
Blicke zurück. Schlucke die bissigkeit
hinunter
die in mir aufsteigt.
Unter dem fenster quälen sich fünf katzen
sie erbrechen das regungslose, das aufgewärmte wachs
in welchem das
gedicht sich sein versteck aushebt.
Ins Deutsche übertragen von
EDITH KONRADT
Aus dem Gedichtband Phänomenologie des geflügelten Geschlechts
(Stuttgart, 2001)
© Akademie Schloss Solitude und Rodica
Draghincescu, 2001-2004
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